Die Regenbogenfrau
Kurzgeschichte – Heiratsantrag auf Sylt – Die Regenbogenfrau
Es rüttelt an der Tür. Die Tür gibt nach und eine Uniform drückt sich massig in den Raum. Schon wieder der Zugbegleiter. Ob ab Altona noch jemand zugestiegen ist möchte er von uns wissen. Die beiden Damen mir gegenüber zücken mehr oder weniger bereitwillig ihre Billets. Mich kennt er schon. Von Stuttgart aus bin ich unterwegs und hatte bereits seit dem Morgen mit zweien seiner vorherigen Schichtkollegen das Vergnügen. Ich schau nach draußen, lasse die Landschaft an mir vorbeiflitzen. Denke an sie, genieße ein sofort aufflammendes warmes und zufriedenes Gefühl. Ich nicke wieder ein. Alles ist gut. Und wird noch schöner.
Ich wache auf und sitze im Zug. Wo auch sonst, auch wenn mein Traum mich längst davon getragen hatte. Die letzten Höfe fliegen an mir vorbei. Klanxbüll habe ich schon hinter mir gelassen wie ich feststelle. Und fast kommen schon die letzten Windräder. Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog – der letzte Winkel Deutschlands. Im Norden beginnt gleich Dänemark, würden wir die Bahngleise verlassen, die uns den Weg exakt vorschreiben. Im Westen trägt uns der Hindenburgdamm in wenigen Momenten durch die Nordsee.
Sie drückt – ich spüre die kleine Schachtel in der Hosentasche.
Die letzten Höfe fliegen vorbei, und Gedankenfetzen jagen im Kopf. Funkelnde Augen, ein Lachen, als ich sie kennenlernte. Wir schauten uns an, und wussten es sofort. Und all die Jahre brachten uns immer wieder die Bestätigung. Was haben wir alles zusammen erschaffen, durchlebt, ausgelebt. Und jetzt ist es einfach an der Zeit. Sie zu fragen, ob es für immer mit uns weitergeht. Ob sie ein Leben lang an meiner Seite sein möchte. Meine Regenbogenfrau. Mein Herz schlägt für Sie, und für „unsere“ Insel. Ich habe beides innen eingravieren lassen. In den breiten Platinring, der in der Schachtel auf seinen großen Einsatz wartet und den ich extra für meine Regenbogenfrau in dem Sylter Ringladen anfertigen ließ. Meine eigene Herzschlaglinie und die Umrisse der Insel Sylt sind auf ewig in den Ring graviert, der ihr meine Liebe zeigen soll. Vor Jahren haben wir die Insel gemeinsam entdeckt und jedes Jahr lockt sie uns nun zu sich. Nirgendwo sonst haben wir beide das gleiche wohlige Gefühl, was uns sofort durchströmt, selbst wenn wir nur an „unsere“ Insel denken. Und immer wieder nach hier kommen zu dürfen, das ist für uns die Erfüllung. Somit ist auch das für mich klar: es gibt einfach keinen schöneren Ort, um ihr diese wichtige Frage zu stellen. Und keine schönere Szenerie um hoffentlich ihr „Ja“ entgegenzunehmen. Ich hoffe… die stärker werdende Aufregung macht sich bemerkbar. Aber ich baue auf die Insel als meine Verbündete. Ein magischer Ort. Eine Natur wie hingeküsst, Landschaften zum niederknien. Ein Licht, das alles vorher dagewesene überstrahlt. Die Luft rein und klar. Macht die Gedanken frei und das Herz ganz weit. Hier soll es sein.
Das Rattern der Schienen unterbricht meine Träumereien. Ich öffne die Augen und schau nach draußen. Da liegt sie nun vor mir, die Schöne… zwar im Regen, aber wie immer wunderschön.
Ach halt, das sind doch nur meine Freudentränen. Coldplay performen „The Scientist“ in meinem Ohr, und ich fühle mich einfach nur wohl. Ich erhasche den ersten Blick auf St. Severin, die wunderschöne Kirche Keitums, errichtet auf dem höchsten Punkt des Sylter Geestkerns, und von überall auf Sylt zu sehen. Der Kampener Leuchtturm zwinkert mir aus der Ferne zu, wir erreichen die ersten Häuser von Keitum, halten kurz am Bahnhof und lassen den entgegenkommenden Autozug passieren. Gleich da. Ich schalte Coldplay ab, packe den MP3-Player in meine Reisetasche, nehme die Jacke vom Haken und lege den Schal um.
Bahnhof Westerland, ich bin angekommen. Ich komme nach Hause.
Morgen kommt sie nach. Sie weiß von noch nichts. Es gibt für sie viel zu entdecken. Und für uns. Das ganze Leben liegt vor uns. Voller Liebe, aber auch voller Aufgaben und Herausforderungen.
Ich will ihr Leuchtturm sein, ihre Arche, in einfach-leichten Tagen und auch in rauer See. Das will ich ihr deutlich machen und deshalb werde ich sie auf das Schiff einladen. Um mit ihr auf Entdeckungsfahrt zu gehen, und um sie dort an Bord zu fragen.
Eine tolle Idee der Sylter Eventplanerin, die auch die Inhaberin des Ringladens ist. Ihr hab ich beim Aussuchen des Ringes von uns beiden erzählt. Von unserem Kennenlernen, unseren gemeinsamen Jahren, unseren Plänen für Leben, all unseren Träumen. Und nun habe ich über sie ein Schiff gechartet, die „Gret Palucca“ der Adler-Reederei. Benannt nach der berühmten Dresdner Ausdruckstänzerin, die zeitlebens mit Hingabe und Freude ihre Ferien auf der Insel Sylt verbrachte. Es wird alleine mit uns rausfahren. Wir sind die einzigen Passagiere, und werden nur von der Besatzung begleitet. Morgen wird ein ganz besonderer Tag. Ich schließe die Türe der Ferienwohnung in List auf, freue mich über den Kühlschrank, der bereits von der „guten Fee“ mit Leckereien, und auch dem was ich jetzt brauche, gefüllt wurde. Lass ein kühles Bier durch meine durstige Kehle rinnen, tunke ein Stück Baguette in den Heringssalat. Später lasse ich mich gedankenschwer in die Kissen fallen, und genieße einen traumlosen Schlaf.
Ein neuer Tag. Die Sonne kitzelt mich wach. Ich springe gedanklich auf, nur mein Körper hinkt hinterher, die Glieder schmerzen aufgrund der langen Zugfahrt. „Der Weg ist das Ziel“ – mein großes Motto ist mir grad mal egal. Ich schwöre mir zum x-ten Mal „das nächste Mal nehme ich den Flieger“, errechne mir gerade die kurze Flugzeit Stuttgart-Westerland mit 1h 20 min, bis sich wieder mein „grünes Herz“ erbarmungslos dagegen wehrt – Umwelt geht vor… Ich recke und strecke mich ausgiebig. Mit neu gefundener Kraft schwinge ich mich dann auch wirklich aus dem Bett, erhasche einen Blick zur Uhr – oh ha. Viel Zeit bleibt nicht. Heute soll es sein. Meine Regenbogenfrau kommt auf die Insel, und wir fahren übermorgen ganz bestimmt mit vielen neuen Plänen wieder gemeinsam nach Hause. Noch knapp 1 ½ Stunden, dann wird sie mit dem Zug von Hamburg aus eintreffen. Ich trinke im vorbeigehen von Küche zum Bad meinen Kaffee aus, lass mich von der kühlen Dusche prickelnd wecken. Schnell in die Klamotten, verlasse ich voller Vorfreude die gemütliche Ferienwohnung. Kaufe ein paar Blumen und mache mich auf den Weg mit dem Mietwagen zum Bahnhof. Der Zug rollt ein, mein Glücksgefühl wächst ins Unermessliche. Doch wo bleibt sie? Fröhlich gelaunte Menschen steigen aus, manche fallen ihren sie abholenden Freunden um den Hals. Ich suche mit den Augen die Menge ab, da erblicke ich sie. Sie strahlt. Ihr Schal hüpft lustig auf und ab im Rhythmus ihrer eiligen Schritte, die mir unaufhaltsam entgegen laufen. Wir erreichen uns und halten uns endlos fest. Drei lange Wochen waren wir beruflich getrennt. Sie freut sich riesig über die Blumen, und steckt sich verlegen eine Strähne hinters Ohr. Ihre Augen sagen alles, und meine Aufregung weicht einem großen Glücksgefühl. Am Auto angekommen verstaue ich ihre Tasche, halte ihr die Beifahrertür auf, und sie schwingt sich galant auf den Sitz. Ich Glückspilz. Auf der kurzen Fahrt von Westerland nach List erzählt sie mir von ihrer Fortbildung in Hamburg. Von vielen interessanten Menschen die sie kennengelernt hat, von der wundervollen Alsterstadt, und wie sehr sie sich freut am Montag wieder mit mir nach Hause zu fahren. Und dass sie wie immer hofft, unsere Sylt-Zeit möge sich ewig anfühlen, auch wenn es diesmal schon wieder nur zwei Tage sein werden.
Ich habe sie immer gesehen, die funkelnden Tränchen, die sie sich jedesmal verschämt aus dem Gesicht wischt, wenn wir über den Hindenburgdamm in die für uns falsche Richtung fahren. Diesmal soll aber alles anders werden. Ich möchte unser Sylt-Gefühl mit nach Hause nehmen. Und sie muss nur an ihre Hand schauen, wo die Insel für immer verewigt ist… Jetzt bin ich mir sicher: sie wird ganz bestimmt „Ja“ sagen.
An der Ferienwohnung angekommen bleibt noch Zeit für einen wärmenden Punsch. Und dann muss ich sie einweihen. Dass ich einen kleinen Ausflug mit ihr geplant habe, und sie mir einfach zum Hafen folgen soll. Die kleine Quasselstrippe neben mir löchert mich auf dem Weg mit Fragen, gibt keine Ruhe. Aber ist auch gut so, das vertreibt meine eigenen Gedanken der Aufregung, die sich nun doch wieder unaufhörlich in meinem Kopf breit machen. Was ist wenn sie „nein“ sagt. Oder „jetzt nicht, vielleicht später“? Wir sind am Steg angekommen, sie schüttelt mit dem Kopf. Auf das Schiff? JETZT? Noch nichts wirklich gegessen hat sie, außer dem Marzipancroissant im Zug zum Frühstück, sagt sie. Wollen wir nicht vorher noch zu Gosch ins Hafendeck? Ich schiebe sie ohne Antwort weiter, der Kapitän nimmt sie am anderen Ende des wankenden Verbindungsbrettes grinsend in Empfang.
Ich folge ihr, die Brücke wird hochgezogen, der Kapitän geht zielsicher in sein Führerhaus. Der Kutter legt ab.
Die Sonne blinzelt, ein leichter Wind kommt auf.
Und dann sieht sie es: ein kleines Buffet liebevoll arrangierter Häppchen, an denen ein Gosch-Fähnchen im Wind weht. Mmh – lecker! Sie schaut sich um, und langsam wird ihr bewusst, dass wir die einzigen Gäste an Bord sind. Ungläubig geht sie am Bootsmann vorbei, der noch das Ankertau verstaut. Überwältigt sieht sie, dass der lange Tisch vorne wundervoll romantisch-maritim dekoriert ist. Sie entdeckt die Perlmutt-Herzen, die vielen Windlichter mit Sylter Sand und Muscheln. Die Flasche Sansibar-Prosecco in der dekorierten Schatztruhe, und kaum dass sie weiterdenken kann, knie ich bereits vor ihr. Nehme ihre Hand und blicke ihr fest und voller Liebe in die Augen, die sich bereits mit Tränen der Rührung füllen. Ich nestle nach der schönen Schachtel, klappe den Deckel hoch, und kaum gesagt was ich sagen wollte, platzt ihr „Ja“ aus ihr heraus. Wir fallen uns in die Arme, halten uns ganz fest und küssen uns immer wieder. Ich stecke ihr voller Stolz den wunderschönen Platinring an den linken Ringfinger. Sie ist ganz aufgelöst, voller Freude und wendet ihre Hand andächtig hin und her. Wir gehen nach vorne, wo die Eventplanerin neben der Dekoration auch zwei rote Kuscheldecken und kleine Kissen für uns bereit gelegt hatte. Den Prosecco nehmen wir natürlich mit. Es ist Zeit, auf unser Glück anzustoßen. Sie legt ihren Kopf an meine Schulter. So schippern wir zufrieden aneinander gekuschelt Richtung Ellenbogen, passieren später den nördlichsten Punkt Deutschland am Leuchtturm List-West. Sie nimmt immer wieder kurz den Ring von der Hand. Bewundert den strahlenden Brillanten, der in dem mattierten Platin geheimnisvoll funkelt, und betrachtet ehrfürchtig und voller Freude innen die wunderschöne Gravur. Wir genießen die Fahrt, und freuen uns dass wir den Kutter ganz für uns alleine haben. Später gleiten wir am Königshafen vorbei, die Anlegestelle rückt wieder näher, und wir laufen in „unseren“ Hafen ein.
Wir sind uns sicher – es ist für immer. Es fühlt sich so richtig an.
Wir! Ich… und meine Regenbogenfrau.